Die Lebenskünstler

Novellette von Teo von Torn
in: „Kieler Zeitung” vom 20.04.1901


„Das kann kein Schwein verstehen, was Du da hinbrabbelst!” rief Oberst von Gregorius wild, indem er die fliegenden Enden seines Schlafrockes zusammenraffte und mit einer heftigen Windmühlengeste vor seinem Töchterchen stehen blieb.

Dieses lachte hell auf und lehnte sich einen Moment in den Lehnstuhl zurück, in welchem sie vor Papas Schreibtisch saß.

„Das soll's ja auch gar nicht!” wandte sie, immer noch lachend, ein. „Wenn Du mich nur verstehst, Papachen!”

„Das ist es eben,” knurrte der alte Herr schon wesentlich besänftigter, indem er seine Zimmer­promenade fortsetzte, „kein Wort verstehe ich von alledem! Du mußt mir die einzelnen Posten langsam und deutlich vorlesen, damit ich weiß, woran ich bin! Die verfluchte Wirthschaft muß aufhören, verstanden! Sonst werden wir Pleite! Und das wollen wir nicht! Also noch einmal von Anfang! Der Kohlenfritze bekommt 22 Mark — der Schlächter —?”

„Dreiundsiebzig — fünfzig — —”

„Na, da haben wir ja die Bescheerung! Fünfundsiebzig Emchen weniger einsfufzig reinweg in Fleisch verfuttert! In einem Monat! Nu sag Mal, Mmsell, wo soll denn das hinführen? Glaubst Du denn, daß ich auf meine alten Tage wieder zu Kleinfeld gehen und mir tausend Emchen einfach auspumpen werde wie früher? Bloß damit wir täglich den Leib mit Fleisch vollschlagen?! Nee, das giebt's nicht, das giebt's nicht, sage ich Dir! Von jetzt ab wird nur jeden zweiten Tag Fleisch gekocht — und das Suppenfleisch wird mir nicht wieder den Dienstboten in den Hals gewürgt, sondern das essen wir selber, Verstanden?! ich bin doch nicht der Maharadscha von Neipur, zum Donnerwetter noch einmal! — Weiter!”

Ada von Gregorius beugte sich tief über das Wirthschaftsbuch und die aufgestapelten Rechnungen — nach dem Zucken ihrer Schultern zu urtheilen, um ein subordinationswidriges Lächeln zu verbergen; dann raffte sie die Papiere auf und las Posten für Posten langsam und mit Nachdruck — von empörten und klagenden Interjektionen des alten Herrn häufig unterbrochen.

Es war der Monatsletzte.

Oberst von Gregorius pflegte auch an anderen Tagen ein Gesicht zu machen, als wenn er sich selber nicht gut sei — aber das hatte nichts zu bedeuten. Wenn man sich den fürchterlichen Schnurrbart wegdachte, dessen Enden er beim Essen und Trinken hinter den Ohren zusammenzubinden pflegte, und die buschigen Augenbrauen, dann blieb nicht mehr viel Beängstigendes; Und vom Etatsmäßigen herab bis zum jüngsten Rekruten des Regiments waren alle darüber einig, daß der Oberst trotz seiner äußeren Bärbeißigkeit eine „Seele” sei.

Nur um den Monatswdchsel herum war mit ihm nicht gut Kirschen essen. Wer in diesen Tagen etwas ausgefressen hatte, der wurde angehaucht, beziehungsweise geschliffen, daß ihm die Augen thränten, und es war daher eine selbst von den ausgelassensten Dachsen respektirte Ueberlieferung im Regiment, alle Dummheiten außerhalb der „Schonzeit” anzustellen.

Auch das reizende blondköpfige Töchterchen des Obersten, welches trotz ihrer achtzehn Jahre dem verwittweten alten Herrn resolut die ganze Wirthschaft führte, machte in diesen Tagen von ihrem häuslichen Einflusse nur einen vorsichtigen Gebrauch.

Sie kannte die Ursache der kritischen Tage — und heute war einer allererster Ordnung: der Tag der Bilanz nämlich, der gefürchtete Ausgleich zwischen einem großen Monats-Soll und einem verhältnißmäßig kleinen Haben! Sie wußte, daß diese Abrechnungen schon zu Lebzeiten der guten, sorglichen Mama recht schwieig und verwickelt waren, und wenn es auch nie ausgesprochen oder auch nur angedeutet wurde, so wußte sie doch ferner, daß es sich aus einer Zeit her „klemmte”, da ihr Papa noch nicht Oberst war — und auch sonst noch nicht jeden Leutnant einzusperren pflegte, welcher über 400 Mark Schulden hat.

Im Laufe der Zeit war die Situation ja bedeutend weniger brennend geworden, aber der Oberst hatte sich an die Angst gewöhnt, daß er um den Ersten herum gar nicht anders konnte — er verzehrte sich in Aufregung um das Resultat der Abrechnung, die er jedesmal als die schlimmste fürchtete.

Das waren dann für Ada nicht sehr erbauliche Stunden, und heute hatte sie noch besondere Ursache, die üble Laune des alten Herrn zu fürchten, dennoch verlor sie nicht einen Moment ihren sonnigen Humor — denn sie wußte, mit welcher rührenden Zärtlichkeit er an ihr hing, und daß er nach Ablauf der „Schonzeit” auch wieder täglich Fleisch essen würde — und zwar gern und reichlich.

Wenn nur das andere schon überstanden wäre — —

Der Oberst zählte unter Knurren und Schelten das Summa Summarum der Berechnungen auf den Schreibtisch, und ganz zum Schluß schob er der Kleinen heftig, aber merklich verlegen noch zwei Hundertmarkscheine hin.

„Das bringst Du dem verfluchten Kerl, — dem Kleinfeld!” rief er, indem er sich abwandte. „Er weiß schon Bescheid.”

An weiteren Aeußerungen seines Ingrimms wurde er durch den Burschen verhindert, welcher stramm, aber doch vorsichtig eintrat und in der Thür noch eine Ritze offen ließ, falls sich ein beschleunigter Rückzug als geboten erweisen sollte.

„Herr Oberleutnant v. Koschotzki!” meldete er energisch.

Fräulein Ada fuhr so heftig zusammen, daß eine ganze Anzahl Goldstücke ihren Händen entrollte. Sie bückte sich umständlich danach, und als sie sich wieder aufrichtete, hatte sie ein brennrothes Gesichtchen und feuchtschimmernde Augen. Inzwischen hatte der Oberst sich von dem Burschen seinen Waffenrock geben lassen.

„Was dieser Mensch schon wieder will!” fauchte er in sich hinein, nachdem der Bursche das Zimmer verlassen. „Aber der kommt mir gerade recht! Das ist auch so ein Windhund — lebt wie'n „Ferscht”, und dabei weiß ich ganz genau, daß er nur den allernothwendigsten Zuschuß von Hause bekommt. Nach der letzten Gesellschaft bei Ebenhochs hat er der lachenden Minna ein Fünfmarkstück in die Pfote gedrückt, während ich — sein Oberst — nur mit fünf Groschen aufgewartet habe! Solche Zicken kann man doch nur machen, wenn man lasterhaft viel Geld hat, oder noch lasterhafter um sich rumpumpt! Und das Bouquet, welches er Dir neulich zu Deinem Geburtstag gebracht hat, kostete auch mindestens zwanzig Em —”

Bis dahin war das eine Art Selbstgespräch gewesen, das der alte Herr mit sich geführt, während er die Uniform zuknöpfte und die Hausschuhe mit den Stiefeln vertauschte. Jetzt blickte er plötzlich auf und fragte konsternirt, indem er den einen Fuß mit dem halbangezogenen Stiefel wieder langsam niedersetzte:

„Ja, zum Teufel, sag mal, wie kommt denn der Kerl überhaupt dazu, Dir Blumen zu schenken — he!?

Fräulein Ada hatte als Antwort nur ein halblautes „Papa —%rdquo;, das wie ein Jauchzen und Schluchzen zugleich klang; dann stürmte sie hinaus.

Oberst von Gregorius sah ihr mit offenem Munde nach, flötete durch die Zähne und schaute dann den Ober-Leutnant von Koschotzki, welcher soeben in Helm und Schärpe an der Thür festwurzelte, wie eine funkelnagelneue Erscheinung mehrere Sekunden starr an. Dann erst zwängte er sich vollends den Stiefel auf den Fuß und erwiderte knurrend den Gruß des Eingetretenen.

„Herr Oberst, ich bitte ganz gehorsamst —”

Auf einen heftigen Wink des alten Herrn brach der Leutnant seine wohleinstudirte Rede jäh ab und schlug die Hacken zusammen. Das war ja ein seltsamer Empfang. Sollte Ada wider die Verabredung schon etwas gesagt haben? Auf Ange­schnauzt­werden war er gefaßt gewesen, aber auf Anstarren und Abwinken — —

Jedenfalls hate er jetzt, nach den elementarsten militärischen Regeln, den Schnabel zu halten und abzuwarten, was mit ihm geschehen würde.

Das war erst mal eine Weile gar nichts. Oberst von Gregorius hatte an seinem Schreibtische Platz genommen und sich in das Studium eines kleinen Büchelchens vertieft. Dann schrieb er einiges auf ein kleines Blatt Papier, rechnete,strich aus, und rechnete wieder. Das dauerte zwei, drei Minuten — und in diesen Ewigkeiten büßte der arme Leutnant mindestens die Hälfte alles dessen ab, was er je in seinem Leben peccirt hatte. Eine schreckliche Situation!

Endlich erhob sich der Oberst. Er räusperte sich scharf, und nachdem er offiziell auch den obersten Haken am Kragen seines Waffenrockes geschlossen, trat er, die Hände auf dem Rücken, dicht an den Zusammenfahrenden heran.

„Ich will Ihnen mal was sagen, Herr Leutnant von Koschotzki, wenn Sie ein Wort von dem kund thun, was Sie mir, nach Ihrem festlichen Aufzug und sonstigen Vorzeichen zu urtheilen, augenscheinlich sagen wollen, dann sperre ich Sie ein, verstanden?”

„Herr Oberst —”

„Ich frage Sie, ob Sie verstanden haben?”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Na also — da könen wir ja von was anderem reden. — Sagen Sie mal, Herr Leutnant von Koschotzki, was ich Sie schon immer mal fragen wollte — — Ihr Herr Vater ist wohl sehr reich, nicht wahr?”

„Nein, Herr Oberst, mein Vater ist pensionirter Oberförster.”

„So — nun, dann stimmt das ja, was ich wußte, und Ihr monatlicher Zuschuß — —?”

„Beträgt hundert Mark, Herr Oberst.”

„Stimmt auch,” bestätigte der Oberst mit einem fast freundlichen Kopfnicken; „freut mich, daß Sie nicht mal den Versuch machen, mir was vorzukohlen.”

Da das Antlitz des jungen Offiziers sich röthete und er augenscheinlich Miene machte, etwas zu erwidern, berührte der alte Herr flüchtig seine Schulter und fügte hinzu:

„Lassen Sie mur, Koschotzki, so war das nicht gemeint; ich bin bloß im Allgemeinen der Ansicht, daß in Liebessachen und Geldsachen auch der ehrlichste Mensch flunkert. Nun sagen Sie aber mal,” — und hier verlor sich jegliches Wohlwollen aus dem Gesicht des Obersten; er zog den Schnurrbart durch die Finger, und seine Augen blitzten den jungen Offizier unter den buschigen Augenbrauen böse an — „wie kommen Sie dazu, gegen meinen Wunsch und den ausdrücklichen Regiments-Befehl Schulden zu machen?”

Leutnant von Koschotzki blickte einen Moment verständnißlos in das gestrenge Antlitz seines Kommandeurs, dann aber konnte er nicht hindern, daß ein flüchtiges Lächeln über seine frischen Züge huschte. Der Oberst hatte das bemerkt, und nun fuhr er auf ihn los:

„Herrrr —” schrie er mit rothem Kopf, „Sie lachen? Wissen Sie, was das ist?”

„Verzeihung, Herr Oberst, ich habe nicht eigentlich gelacht — mir ging nur etwas durch den Kopf — —; zu der Frage des Herrn Obersten bemerke ich gehorsamst, daß ich keine Schulden habe.”

„Machen Sie keine Witze, Herr!” schrie der Oberst wüthend, „Sie haben keine Schulden?”

„Zu Befehl, nein, Herr Oberst — nicht einen rothen Pfennig.”

„Und das nehmen Sie auf Ihr Wort —?”

„Auf mein Wort — wenn ich die jüngste Kasino-Rechnung ausnehmen darf — 26 Mark und 50 Pfennig, die mir noch nicht abgezogen sind, da ich mein Gehalt noch nicht erhalten.”

„Sechsundzwanzig Mark und — — ja, Mensch, essen Sie denn nicht immer im Kasino?”

„Zu Befehl, nein, Herr Oberst; nur bei den Liebesmahlen und wenn ich sonst muß.”

„Und im Uebrigen?”

„Erbswurst — Herr Oberst; selbst zubereitet, und manchmal — noch weniger!”

„Aber Sie leben doch nach außen hin wie ein Gott in Frankreich!”

„Das könnte ich eben nicht, wenn ich zu Hause nicht anders lebte. Um einem Kutscher gegenüber standesgemäß auftreten zu können, verzichte ich oft und gern auf ein warmes Abendessen.”

Der Oberst hatte sich abgewandt und war an seinen Schreibtisch getreten. Er schämte sich — schämte sich aus ehrlichem Herzen vor diesem jungen Menschen, der ihm in der Lebenskunst so weit über war. Um den von einem keck aufgebürsteten Bärtchen beschatteten Mund des Leutnants zuckte wieder jenes seltsame Lächeln; er trat einen Schritt näher und sagte:

„Verzeihen der Herr Oberst, aber ich verdanke die Lehre, der ich nachlebe, meinem alten Vater, der mir als warnendes Beispiel immer einen seiner früheren Regiments­kameraden vorhielt — einen glänzenden, hochbegabten Offizier, der sich nachher viele schwere Sorgen machte —”

„Und nicht einmal das lumpige bischen Kommißvermögen gespart hat, um seine Tochter verheiraten zu können! Recht hat Ihr Vater, Koschotzki — es giebt solche Bambusen — und deshalb habe ich Sie ersucht, mir Ihre Wünsche nicht vorzutragen!”

„Herr Oberst, wenn ich es doch wagen dürfte,” bat der junge Offizier in warmem Herzenstone. „Ich kenne Fräulein Ada —”

„Aber Mann Gottes — ich habe Ihnen doch schon gesagt! Es langt nicht! Es fehlen beinahe noch zweitausend Mark an dem, was ich Ihnen reglementsmäßig geben muß — — außerdem — was wollen Sie mit einer Frau, die monatlich fünfundsiebzig Mark allein beim Schlächter ausgiebt —”

„Wenn ich das nicht gethan hätte, Papachen,” rief Fräulein Ada, indem die ihr blondes Köpfchen in die Thür steckte, „dann wäre das Fehlende allerdings noch nicht da — aber mit den Fünfzig, um die ich Dich in diesem Monat beschuppt habe, ist schon was drüber!”

Oberst von Gregorius hatte sich noch nicht von seiner Verblüffung erholt — da lagen die Beiden sich schon in den Armen. „Und was war schließlich einzuwenden?” Um diese Beiden brauchte er sich nicht zu sorgen — es waren Künstler — Lebenskünstler!

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